Zum Schreiben gehört mehr als nur der Wille, es zu tun. Ein wenig blauäugig bin ich auf meine Schreib-Reise gegangen, aber ich habe die ersten Schlechtwetter-Zonen überstanden und viel daraus gelernt – über das Schreiben, aber auch über mich.
Absprung
Für Abenteurer ist es eine Kleinigkeit, die Ich-Insel hinter sich zu lassen. Einfach ins Boot klettern, ablegen vom Alltags-Steg und hinaus aufs Meer – ins Ungewisse und dem Sonnenuntergang entgegen.
Obwohl meine alte Ich-Insel die Größe Lummerlands hatte, ist es mir damals schwer gefallen, sie zu verlassen. Ich habe kleinere Ausflüge unternommen, Vorstöße in die Welt des öffentlichen Schreibens, aber ich bin jedes Mal brav zu meiner Insel und meinem sicheren Leben zurückgekehrt.
Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass ich zum Wachsen vor allem eines brauchte: Platz! Es reichte nicht, ein paar Stunden mit dem Boot hinauszufahren, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen und bei dem kleinsten Anzeichen von schlechtem Wetter zurückzukehren.
Wachsen heißt, sich mit den Dingen jenseits des Horizonts auseinanderzusetzen. Sich der Herausforderung, den eigenen Ängsten zu stellen, aber auch mit der Möglichkeit, zu versagen.
Für den ersten Schritt brauchte ich Mut. Den habe ich aufgebracht. Ich bin gegangen und erlebte die erste Überraschung: in mir steckte mehr als ein Insulaner – eine gute Prise Abenteurer war auch dabei! Mulmig war mir schon, als ich meine Insel aus den Augen verlor, aber sich auf die eigenen Muskeln und Instinkte zu verlassen, hatte auch etwas ungemein Belebendes.
Hornhaut
Ich taufte mein Boot auf den Namen Ellas Schreibwelt. Gemeinsam mit Ella wollte ich die Welt erkunden und stand vor der ersten großen Herausforderung: Wohin sollte die Reise gehen? Wo liegt die neue Welt? Wonach suchte ich überhaupt?
Ich hoffte, die Antwort in einem Stapel Schreibratgeber zu finden. Wie Karten breitete ich sie vor mir aus, stöberte mal in dem einen, mal in dem anderen. Aber es war bereits beschriebenes Papier, nicht die kribbelige Herausforderung, die ich gesucht hatte.
Also stürzte ich mich spontan und kopfüber in mein erstes großes Schreibabenteuer nach meinem Aufbruch – eine 60 Tage Schreib-Challenge. Jeden Tag erhielt ich eine E-Mail mit einer neuen Schreibaufgabe.
Der Start verlief holprig. Es war ausgerechnet mein Geburtstag und Ella musste einen Zwischenstopp einlegen. Danach ging es ans Aufräumen und dann …
… wurde mir bewusst, dass ich umgekehrt und auf dem Rückweg nach Lummerland war. Ich konnte die Insel schon fast sehen, bis ich das Ruder herumriss. Ich wollte nicht zurück. Noch nicht! Schon gar nicht wollte ich mir eingestehen, dass das Abenteuer vorbei war, ehe es überhaupt richtig angefangen hatte.
Ich startete mit der Schreib-Challenge. Anfangs fiel es mir schwer. Manchmal kam etwas dazwischen oder es war schlichtweg der falsche Tag zum Schreiben. Aber mit jedem Tag, den ich nicht schrieb, trieb ich zurück. Also arbeitete ich die Übungen nach, holte auf.
Mit jedem weiteren erfolgreichen Schreib-Tag wuchs die Hornhaut. Ich konnte die Segel schneller hochziehen oder den (Schreib-) Motor problemlos starten.
Ab und zu zog ein kurzes Unwetter vorbei, wurde die See kabbelig oder die Nacht war zu kurz, um mit voller Energie dabei zu sein, aber jeden Tag die gleichen Handgriffe zu erledigen, gab mir Sicherheit. Außerdem lernte ich nebenbei die Grundlagen für einen Alltag auf dem Schreib-Meer, denen ich mich vorher verweigert hatte.
Ich schrieb Listen, setzte Satzanfänge fort, führte Interviews, beantwortete Fragen zu meiner Geschichte oder den Charakteren, die ich mir vorher nie gestellt hätte. Je weiter ich mich von der Insel entfernte, desto besser gelang es mir, eine jahrelang gepflegte Lethargie abzuschütteln.
Ich genoss die Challenge, plottete zum ersten Mal bevor ich etwas schrieb und war fast traurig, als 2 Monate mit Schreibaufgaben zu Ende gingen.
Rüstzeug
Ich gebe zu, die Übung machte mich ein wenig übermütig. Aber das ist wahrscheinlich ein normaler Prozess. Nach Angst und Unsicherheit spürte ich endlich die Freiheit und die Weite, nach der ich gesucht hatte. Ich lief jede kleine Insel an, entdeckte Neuland, schwamm und tauchte nach Herzenslust, arbeitete an meinem Boot.
Ich las viel, sammelte Wissen und begann mich für jede kleine Schraube zu interessieren. Ich habe sie rausgeschraubt, reingeschraubt und ersetzt, wieder zurückgetauscht, aber dieses Mal gefettet. Ich habe geschliffen, lackiert, ausgebessert, erneuert, ergänzt.
Naiv, unvorbereitet und mit viel Elan habe ich mich auf den Weg zum nächsten großen Schreib-Abenteuer auf meiner Reise gemacht – dem NaNoWriMo.
Endloser Ozean
Ich wusste, der nächste Abschnitt meiner Reise würde deutlich größer als die bisher zurückgelegte Strecke. Ich dachte, ich wäre geübt. Ich war mir sicher, die Hornhaut würde ausreichen. Aber ich hatte keine Vorstellung, wie unbarmherzig und endlos das Schreibmeer sein kann.
Falls du diesen Ozean bisher noch nicht entdeckt hast: Ziel des NaNoWriMo (des National Novel Writing Month) ist es, vom 1. bis 30. November zeitgleich mit anderen Autoren weltweit insgesamt 50.000 Wörter zu schreiben, also im besten Fall einen kompletten Roman zu verfassen.
Nach den ersten Sprinttagen stellte sich bald Ernüchterung ein. 1667 Wörter täglich, 7 Tage die Woche. Und das bei Wind und Wetter.
Wäre ich allein gewesen, ich hätte aufgegeben. Aber mit Ella waren Kutter, Rettungsboote, Kajaks, rostige Seelenverkäufer, schnittige Jachten, Hochglanz-Rennboote und auch so manches Container-Schiff an den Start gegangen.
Einige zogen erwartungsgemäß schnell vorbei. Was von ihnen blieb war der dunkle Punkt am Horizont und eine Spur im Wasser, die sich schnell verwischte.
Ella hüpfte im Wellengang auf und ab, dass mir schwindelig wurde. Über das Wasser wehte der Geruch nach Unsicherheit, Angeberei, echtem Können und Versagensangst. Ich vermisste meinen Schlaf. Jeder Muskel tat weh und eine Erkenntnis traf mich:
Dies ist ein Ozean!
Es genügt nicht, ihn überqueren zu wollen. Der Wille ist in diesem Fall so hilfreich wie eine defekte Treibstoff-Anzeige. Irgendwann ist der letzte Sprit durch die Leitungen geflossen, der Motor stottert und bleibt stehen.
Mein Motor versagte nach 2/3 der Strecke. Er erstarb und sprang nicht mehr an. Da konnte ich gegen die Anzeige hämmern wie ich wollte. Ich wurde zum Spielball der Wellen und Ellas Bug drehte sich langsam Richtung Lummerland.
Niemals zuvor war mir Schreiben so schwergefallen. Ich brauchte fünf oder sechs Stunden, um auf meine Wortzahl zu kommen und fragte mich, ob es all das wirklich Wert wäre.
Ich brauchte eine Pause. Ich hatte mich zu sehr auf das Ziel fixiert und dabei vergessen, was mich motiviert, weswegen ich diese Reise überhaupt angetreten hatte. Ich war irgendwo im Nirgendwo – unglaublich weit entfernt von meiner Insel.
Ich betrachtete meine schwieligen Hände, strich über das alternde Holz, atmete die salzige Luft. Ich beobachtete die Wolken, spürte die vertrauten Bewegungen des Meeres.
Ich war noch nicht bereit, umzudrehen. Ich zog das Segel auf. Keine Chance, die rennerprobten Jachten oder die mächtigen Containerschiffe einzuholen, aber ich war nicht allein. Weitere Segel erschienen vor, hinter und neben mir. Paddel stachen ins Wasser.
In Sichtweite der anderen, legte ich den Rest der Strecke zurück. Es war nicht der Sieg, den ich mir vorgestellt hatte, aber ich kam an. Ich bezwang den Ozean mit 56.432 Wörtern, also ca. 1.881 Wörtern täglich.
Bunte Segel
Ich habe schon viele Schreibsprints hingelegt, mich manches Mal in meinen vier Wänden verbarrikadiert – als das noch ging und keine Familie versorgt werden wollte – aber niemals zuvor bin ich wirklich an meine Grenzen gestoßen.
Der Ozean war meine erste große Prüfung. Seitdem weiß ich, was Ella und ich leisten können und was nicht. So gern ich Ella Ralleystreifen aufkleben würde, aber sie ist kein Rennboot, auch kein Super-Luxusliner und schon gar kein hipper Ausflugsdampfer mit Glasboden und stampfenden Rhythmen.
Wir sind in den letzten Wochen und Monaten zusammengewachsen. Ein Team, dem die Grenzen aber auch die Möglichkeiten bewusst werden. So sehr wir uns beide haben, etwas anderes ist mir beim Nanowrimo bewusst geworden – wir sind nicht allein unterwegs. Für ein paar Wochen war ich umgeben von bunten Segeln, die ich jetzt manches Mal vermisse.
Es waren nicht einmal die Ideen, die tollen Schreibtricks, die sicherlich auch in dem einen oder anderen Buch zu finden sind, es war die Faszination Schreiben, die uns alle gemeinsam an den Start geführt und durch das Rennen begleitet hat.
Strand-Pause
Eines habe ich beim Nanowrimo gelernt – es gibt eine Zeit für Sprints und eine, um einen neuen Strand zu erkunden.
An Strandtagen lese ich viel, tauche in die Gedanken anderer Autoren ein, aber nicht nur in ihre Geschichten, sondern auch in ihre Erfahrungen. Ich gleiche sie mit meinen ab, versuche, die Ergebnisse für Ellas Feinschliff zu verwenden.
Strandtage sind Übungstage. Wie schnell kann ich mit Ella starten, wie schnell bin ich auf dem Meer, wie sicher ist jeder Handgriff? Ich muss mich nicht auf das Überleben konzentrieren, ich kann Spaß haben.
Während meiner Strand-Pause sind viele neue Texte entstanden. Ich merke ihnen meine Reise an. Einige sind bruchstückhaft, unstet wie das Wetter auf meiner Reise, in anderen finde ich eine neue Stimme, von der ich hoffe, dass sie auch lange Stürme und Überfahrten übersteht.