Die Sache mit der Beharrlichkeit

Kein Gewinn ohne Schweiß und Training. Was für den Sport gilt, trifft auch auf das Schreiben zu. Aber es ist so eine Sache mit der Beharrlichkeit. Manchmal ist auch das nicht genug.

Die Vorgeschichte

Zwei Jahre meines Autorenlebens habe ich „Jules“ (ausgesprochen Juls) gewidmet. In dieser Zeit ist sie mir ans Herz gewachsen. Viele Szenen habe ich so intensiv empfunden, dass sie für mich fast eigene Erinnerungen sind.

Ich habe mit der Rohfassung im März 2017 begonnen und das Manuskript am 6.12.2017 beendet. Ein Großteil der Story (rund 58.000 Wörter) ist während des NaNoWriMo im November 2017 entstanden, einem international aufgestellten Schreibmonat, bei dem es darum geht, gemeinsam und doch jeder für sich das Schreibziel von 50.000 Wörtern zu erreichen.

Nach einer Ruhepause wagte ich mich im Januar 2018 ans erste Lesen. Mein Manuskript glich einer Achterbahnfahrt. Höhen und Tiefen wechselten einander ab. Wobei es mehr Tiefen als Gipfel waren.

Die Wogen der Euphorie aus dem Dezember glätteten sich schnell. Ein Berg Arbeit lag vor mir. Voller Tatendrang begann ich mit der ersten Überarbeitung. Im Gegensatz zu früheren Jahren hatte ich mir inzwischen mehrere Werkzeuge angeeignet mit der ich die Story auseinandernehmen, analysieren und „zurechtrücken“ wollte.

Zitat Robyn Roste: Jede Idee beginnt mit Leidenschaft, trifft auf Entmutigung, die mit Beharrlichkeit bekämpft werden muss.

Der Fehler

Während der Überarbeitung lernte ich viel, aber ich blieb unerwartet stecken – nachdem ich rund 2/3 des Manuskriptes überarbeitet hatte. Eine Übergangsszene wurde zu meinem Verhängnis, eine harmlose Überleitung zu einem der Höhepunkte auf den ich hingearbeitet hatte.

Es hakte. Ich setzte neu an. Belangloser Mist. Neuer Versuch. Alles klang wie mehrfach durchgekaut. Ich setzte mich erneut dran. Wieder und wieder dieselbe Szene, wie eine DVD mit Sprung.

Ich versuchte es mit Beharrlichkeit. Wie ein Bogenschütze in der Ausbildung visierte ich die Zielscheibe an und schoss. Ein Pfeil nach dem anderen. Die meisten gingen ins Aus, ein paar trafen den Rand, zählten aber nicht als Gewinn.

In Ratgebern taucht dann der großartige Tipp auf: „Wenn es mit dem einen Satz nicht klappt, nimm den nächsten oder den übernächsten. Wenn es sein muss, springe ein gutes Stück weiter.“

Meinem Bogenschützen würde ich eine Brille empfehlen, aber wie sollte ich die Kurzsichtigkeit bei meinem Text korrigieren?

Ich hinterfragte meine Motivation, aber mit der war alles in Ordnung. Ich wollte Jules an ihr Ziel bringen.

In einer brüchigen tristen Struktur tauchen auf einem leuchtend blaue Details auf
Eine Story hält für den unerfahrenen Autor manchmal unerwartete Details bereit, die sich erst beim zweiten Blick enttarnen.
Ich nahm nacheinander die Figuren und die Szenen auseinander. Ein Perspektivwechsel brachte erste Erfolge. Zum ersten Mal sah ich Jules durch die Augen einer anderen Figur und musste in Worte fassen, was ich vorher nur \“gefühlt\“ hatte. Der Durchbruch?

Ich nahm mir noch einmal die Übergangsszene vor und scheiterte erneut.

Der Lehrer des Bogenschützen-Neulings hätte an dieser Stelle vielleicht aufgegeben, seinem Lehrling auf die Schulter geklopft und ihn gebeten, seine Wahl noch einmal zu überdenken. Wenn selbst die Brille nichts half …

Ich schickte mein Schreibbewusstsein in den Orbit. Ein anderer Blickwinkel musste her. Von einem Satelliten aus, blickte ich auf meine Schreibwelt herunter. Wo lag der verdammte Fehler?!

Die Ursache

Die Basis des Geschichtenerzählens hab ich schon früh in meiner Kindheit geschaffen. Die erste erzählte Geschichte war so gruselig, dass sich die Mutter meiner Freundin beschwerte, ihre Tochter hätte Albträume davon bekommen.

Mit einem Freund habe ich während der Grundschulzeit Zeitungen geschrieben, meine Barbies hatten seitenlange Lebensläufe. Später habe ich die Regale der örtlichen Bibliothek leergefegt und jeden Monat Tausende Seiten verschlungen.

In der Schulzeit lernte ich, meine Fantasie in ein Korsett zu zwängen, es Formen zu unterwerfen. Gelegentliche Ausbrüche wurden eher bestraft als unterstützt. Dennoch glaubte ich, mit der „Form“ gewappnet zu sein.

Strand vom Wind geformt
Erst für „Jules“ setzte ich mich neu mit dem Schreiben auseinander, wollte es in andere Bahnen lenken. Ich lernte, was das Zeug hielt. Diese Bestätigung sendete mir auch mein Satellit: Lernprozessor auf 100 %, aktiv, sende- und empfangsbereit. Ich war also in der Lage, Fehler anzunehmen und nach Lösungen und Erweiterungen für den Schreibhorizont zu suchen.

In einer Schulung erfuhr ich das erste Mal von den Glaubenssätzen eines Autor und wie sie das eigene Schreiben beeinflussen können. Einer der gängistens Glaubenssätze ist die vermeindlich fehlende Zeit, um sich überhaupt dem \“Projekt Buch\“ widmen zu können.

Mein Satellit tastete den entsprechenden Bereich ab und schickte das erste Mal ein Fehlerprotokoll. Einen Großteil meiner Glaubenssätze hatte ich bereits während der Lernphase korrigiert, einige wenige hielten sich hartnäckig. Grund gefunden?

Die Erkenntnis

Der Lehrer nimmt den Bogenschützen beiseite. „Junge, ich habe dir die Technik beigebracht. Du hast eine neue Brille, warum kannst du nicht einmal den inneren Kreis treffen?“
Der Bogenschütze setzt sich an den Rand. Wenn er trifft, ist er der Held. Er wird das Mädchen beeindrucken, auf das er schon lange ein Auge geworfen hat. Aber wenn er bei einem der Wettbewerbe gewinnt, werden sie ihn rekrutieren. Er muss in die weite Welt ziehen und wird das Mädchen vielleicht niemals wiedersehen.

Sich zu verirren oder schlampig zu zielen hat einen großen Vorteil, man zögert das Ende – die letzte große Entscheidung heraus.

Ich hatte innerhalb weniger Monate mehr bewegt, als vorher in Jahren. Aber lernen, immer wieder an sich arbeiten ist anstrengend, also gönnte ich mir eine Auszeit. Ich ließ mich auf ein Abenteuer ein, eine neue Story – einfach nur zum Spaß.

Nach 70 Seiten erwachte ich. Mit einem schlechten Gewissen Jules gegenüber und einer wichtigen Erkenntnis. Ich war nicht länger so naiv zu glauben, dass wer lesen auch schreiben kann. Dass eine Geschichte erzählen allein reicht.

Der Pfeil fliegt nicht ins Ziel, weil jemand ein Auge zukneift und die Sehne zurückschnellen lässt. Der Wind, das Material, der Atem, die innere Einstellung – eine Unmenge Schräubchen wollen angezogen werden, bevor der Schütze die nötige „Festigkeit“ aufweist, damit sein Pfeil wie auf einer Schiene genau ins Schwarze trifft.

Beharrlichkeit steht für konstantes und konsequentes Handeln. Synonyme sind u.a. Ausdauer und Hartnäckigkeit. Ich war ausdauernd, ich war hartnäckig, aber nicht konsequent. Der Sprung in der DVD, die sich ewig wiederholende Szene war mein Flatterband mit dem ich den Tatort „Jules“ abgesperrt habe.

„Jules“ ist innerhalb kürzester Zeit entstanden. Ich habe sie erst richtig kennengelernt, als ich das erste Mal die Perspektive gewechselt habe. Mir ist klar geworden, dass sie als Charakter nicht nur ein Teil von mir ist, sondern Teil einer eigenen Welt. Nicht ich ziehe an ihren Fäden, es sind die Figuren mit denen sie dieses Universum teilt. Ich muss sie so anziehen, dass sie den Pfeil Jules wie auf einer Schiene ins Ziel befördern.

Ich war nicht konsequent, weil ich dachte, mit ein bisschen Kosmetik hier und da ist es getan. Ich hätte die Zielscheibe verschieben müssen, damit Jules eine Chance hat zu treffen.

Tatsächlich habe ich sogar mit aller Kraft geschoben, aber die Frau, die getroffen hat, war nicht mehr die „Jules“. Mein Autoren-Ich hat das gemerkt und die Reißleine gezogen, ein Flatterband gespannt, mich auf die Reise der Erkenntnis geschickt.

Die Sache an der Beharrlichkeit ist, festzustellen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, aufzugeben und wann es sich lohnt mehr zu investieren.

Das Ergebnis

Der Bogenschütze hat sich für das Mädchen entschieden.

Ich starre gelegentlich auf das Flatterband und denke, dass es in Ordnung war, nicht weiterzugehen.

Sein eigenes Scheitern zuzugeben ist nicht leicht. Vielleicht auch dass ein Grund, warum es so lange ruhig auf diesem Blog war.

Ein Surfer wartet auf eine Welle
Manche Wellen sind nicht hoch genug, um einen bis zum Ziel zu tragen.
Dennoch hat mich “ Jules“ bereichert. Ich habe mit anderen Autoren, die ich erst im Nachgang kennengelernt habe, über die Story gesprochen und versucht, sie einzuordnen oder auf den Punkt zuringen. Eine andere Autorin hat es schließlich für mich zusammengefasst: „Das ist die schwierigste Art Story überhaupt“.

Und das ist es. Nicht mehr und nicht weniger. Statt mich heranzutasten, habe ich versucht, aus dem Stehgreif die Meisterschaft zu gewinnen. Nr. 1 als erste Disziplin. Hört ihr mich lachen?

Inzwischen ist viel passiert. Aus den 70 Seiten, die ich zum Spaß geschrieben habe, ist ein neuer Roman geworden, den ich letztes Jahr zu Ende geschrieben habe. Er hat tatsächlich eine Chance und erste Auszüge sind von erfahrenen Testlesern durchaus wohlwollend beurteilt worden. Meine Reise geht also doch noch etwas weiter 😉

Die Aussicht

Seitdem habe ich viel über das Thema Beharrlichkeit nachgedacht. Es geht nicht ohne! Nach dem Sprint, steht sie für den Marathon. Und einen Roman zu schreiben ist ein Marathon. Es gehört viel Atem dazu. Doch wenn man merkt, dass sich das viele Training irgendwann in Leistung auszahlt, ist es mit Nichts aufzuwiegen.

Für die Nr. 1 reicht es noch nicht, aber auf eines kann ich mich verlassen – auf Jules Beharrlichkeit. Immer wieder besucht sie mich in Gedanken und wer weiß, vielleicht werden wir es noch einmal zusammen versuchen.

Zitat Ernst R. Hauschka über die Niederlage

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