Manchmal ist Schreiben einfach. Ich setze mich an meinen Lieblings-Schreibplatz, habe eine Szene vor Augen, brauche nur ein paar Sätze und bin drin. Das ist der Idealfall.
Falls du es schon mal mit dem Schreiben probiert hast, kennst du vermutlich auch den anderen Weg: Es hakt – und zwar gewaltig.
Für dieses Stotter-Schreiben, also zwei Sätze schreiben und einen oder sogar beide Sätze löschen, habe ich für mich drei Gründe ausgemacht:
- Ich habe diese Szene nicht wirklich vor Augen.
- Ich bin dabei, von meinem (Plott-) Plan abzuweichen.
- Es ist eine knifflige Szene, von der viel abhängt.
Was wäre, wenn ...
Am Anfang meiner Schreibkarriere habe ich geschrieben und dabei entwickelt. Nach und nach haben sich die weißen Wände meines gedanklichen Schreibraumes mit Bildern gefüllt.
Eine Frau läuft bergab auf ein Haus in einer verschneiten Schlucht zu. Sie ist erschöpft, bleibt stehen und fragt sich, wie sie auf die Straße gekommen ist. Wer ist sie? Woher kommt sie? Wie heißt sie?
Schon geht die Abenteuer-Schreibreise los. Was-wäre-wenn ist eine äußerst beliebte Schreibmethode, um irgendwo einzusteigen.
Was wäre, wenn ihr die Haustür geöffnet wird und jemand begrüßt die Frau als Bekannte in einer ihr unverständlichen Sprache?
Was wäre, wenn das Haus vor ihren Augen verschwindet und stattdessen sind dort nur noch Ruinen oder ein Bach?
Was wäre, wenn sie das Haus betritt, sich dort wohl und geborgen fühlt, aber weder gibt es Hinweise, dass sie jemals dort war, noch tauchen die Bewohner auf.
Die Methode ist spannend, zugegeben – aber als Autorin stehe ich vor einem Meer aus was-wäre-wenns. Alles ist möglich.
Nach der ersten Sichtung der Möglichkeiten wird aus dem Meer der Fragen ein See. Dafür gibt es einen Zickzack-Weg um den Tümpel. Der Pfad führt mal rauf, runter, um einen Hügel, kurz zurück und dann eventuell ein Stück weiter. Dazu noch eine Pause auf einer Bank!
Immer auf Kurs
Was wäre also besser als sich von Gefühl, Intuition, Hunger oder Frust leiten zu lassen? Ein Plan!
Eines meiner Schreibjahre habe ich mit Planen bzw. Plotten versenkt. Ich habe meine Story in ihre Einzelteile zerlegt, jedes Kapitel notiert, Ziele und Entwicklungen festgehalten, Höhe- und Wendepunkte geprüft, Fehler korrigiert, Charaktere ausgemistet.
Und dann … hatte ich keine Lust mehr, es zu schreiben.
Da lag eine Story ausgebreitet vor mir auf der Bettdecke, fein säuberlich auf Kärtchen notiert. Ich hab die Kapitel verschoben, mir die Haare gerauft, in Ratgebern nachgelesen. Klang und las sich alles richtig – aber der Spaß war futsch.
Hello fresh
Jetzt bin ich auf dem Hello fresh-Weg.
Dies soll keine Werbung sein. Mein Papa hat gerade nach Jahren seinen Widerstand aufgegeben und steht jetzt kochend dank der Hello-fresh-Zutatenkiste am Herd.
Der Dosenöffner hat gerade Pause. Dafür sind jetzt frische Kräuter aus der Tüte, abgepackte Gewürze und diverse andere Zutaten dran (die Knoblauchzehe haben wir aus dem Altpapier geholt – wer ahnt die winzigen Beilagen?? – aber das ist eine andere Geschichte).
Ich hatte darauf keinen Einfluss, also bitte nicht meckern! Es ist auch nur ein Versuch, aber als kompletter Kochanfänger hat er sich nun einmal dafür entschieden.
Ich gebe zu, die Rezepte, die ich bisher aus dem Karton gefischt habe, sind beinahe idiotensicher. Dennoch kann man als Anfänger eine Menge falsch machen.
Das wurde mir spätestens klar, als das Gericht in der Pfanne vor sich her anbrannte und mein Vater gemütlich in seiner Abstellkammer nach einer neuen Flasche Öl suchte. Oder die geschnittenen Zwiebeln sowie die grob statt fein gehackte Knoblauchzehe, verzweifelt ihren Platz auf dem Schneidbrett gegenüber dem Brokkoli-Fiesling verteidigten. Die Röschen haben sie dann frech runtergekickt, bis ich Zwiebeln und Knoblauch auf zweckentfremdeten Untertassen gesichert habe.
Nun stellst du dir zu Recht die Frage, was hat das mit Schreiben zu tun?
Kochen ohne Rezept (vor allem als Anfänger) führt gern zu absolutem Chaos in der Küche. Du brauchst mehrere Anläufe bis etwas nicht zu fade, versalzen oder angebrannt bzw. verkocht ist.
Mit Rezept und bebilderter Schritt für Schritt Anleitung wirkt Schreiben auf den ersten Blick simpel und übersichtlich. Alle wissen, wo sie zu stehen haben, was sie zu sagen haben und welche Straße sie auf keinen Fall in ein verschneites Tal nehmen dürfen.
So ein Pfad gibt Sicherheit. Ich kenne meinen (Schreib-) Weg, dennoch lässt er mir die Freiheit Details zu verändern.
Ich entscheide, ob ich die vermeintlich frischen Kräuter aus der Tüte gegen wirklich frische aus dem Garten ersetze. Ich entscheide mich dagegen, das Würzöl für die Kartoffelspalten an die Innenwand der Goliath-Küchenrührschüssel zu verschwenden und massiere es stattdessen mit Hilfe eines Gefrierbeutels ein.
Wie beim Kochen auch, sind Rezepte nur ein Teil des Spiels. Erfahrung, Wissen und alles mal auszuprobieren (inklusive Scheitern) gehört zum Prozess dazu.
Die Lernkurve
Wenn es also hakt und der Absatz auf dem leeren Blatt erscheint, um dann Buchstabe für Buchstabe wieder zu verschwinden – frage ich mich heute:
- War ich in der Chaos-Küche unterwegs?
- Hab ich die falsche Zutat erwischt?
- Oder bin ich auf meinem Hello-fresh-Weg und muss nur noch die richtige Taktik austüfteln oder das richtige Werkzeug in mein Küchengeräteensemble aufnehmen?
Da ich mich für den Mittelweg aus Entdeckung und Planung entschieden habe, ist es häufig Punkt 2. Manchmal schreibe ich Szenen aus drei verschiedenen Perspektiven, um herauszufinden, was mir am besten schmeckt. Welche Figur hat am meisten zu sagen? Welche ist die Interessantere? Lässt sich die Erkenntnis von Figur 1 bei der Figur 3 mit einbauen? Und was ist dann die bessere Wahl? Ein Dialog oder eine Handlung?
Heute morgen ist es definitiv Punkt 3. Ich brauche diese Szene. Die Personen sind alle auf ihren Plätzen und auch der Ausgang steht fest. Meine Heldin Hanna wird einer Prüfung unterzogen. Sie tappt naiv in die für sie ausgelegte Falle. Ihr Überlebensinstinkt rettet sie in der ersten Runde. Doch ihr Gegner ist erfahren, hinterhältig und neugierig, was sie vor ihm verbirgt. Er gräbt tief und …
Es ist klar, dass sie eine Lösung findet, um der Falle vorerst zu entkommen, oder? Aber die Art, die Ausführung, der Trick hinter dem Ganzen ist ein Kampf mit Sätzen und Absätzen. Ein Rubrik’s Cube der Wörter.
Ein abschließendes Gedankenspiel
Ich hätte gern darauf verzichtet, kochen zu lernen. Kochen gehört nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, aber weil ich immer mal Weg 1 oder 2 ausprobiert habe, kann ich aus der Summe meiner Erfahrungen schöpfen, also ohne Rezept etwas genießbares Kochen.
Und wenn es doch mal kompliziert wird, greife ich auf ein Rezept zurück. Dennoch muss ich es nicht zwingend 1:1 anwenden. Es darf eine Prise Chaos oder Experiment dabei sein!
Ich kann alles gezielt einsetzen kann und auch wieder voneinander trennen. Was hat sich bewährt? Wo bin ich in ein altes Muster gefallen und hab gedacht, ich komme damit durch? Bin ich noch auf meinem Rezept-Weg oder liegt es wirklich nur an Details?
Bei der aktuellen Kiste arbeitet mein Papa inzwischen vor. Alle Arbeitsgeräte und eigene Zutaten stehen bereit. Er trennt die einzelnen Arbeitsschritte, räumt zwischendurch auf und ab und zu schafft er es auch zu lächeln, wenn nicht gerade zwei Brat-/Koch-Timer gleichzeitig laufen.
Er erkämpft sich seine ersten Freiheiten vom Rezept. Im Gegensatz zu mir, schafft er es allerdings eine Suppe zu pürieren, ohne eine Schütze zu tragen oder hinterher die Küche zu schrubben.
Es gibt immer Luft nach oben! Hanna, morgen rette ich dich 😉