Der frühe Tod des Bösewichts

Schreiben ohne Plotten macht unendlich viel Spaß, aber leider später auch unendlich viel Arbeit. Was ist besser? Den frühen Tod eines Bösewichts zu riskieren oder mit Excel-Tabellen und Charakterbögen arbeiten?

Durch fremde Augen sehen

Wenn ich eine Idee habe, beginne ich zu schreiben. Es gibt keinen Plot, kein Kapitelziel, keine vorgefertigten Charakterbögen. Die Geschichte entsteht und entwickelt sich auf dem Papier bzw. im Rechner während ich schreibe. Als Autorin lerne ich zusammen mit der Hauptperson neue Freunde oder auch Feinde kennen, erkunde die Umgebung, begleite die Akteure durch Höhen und Tiefen.

Dabei ist der Held allerdings neben seiner eigenen Reise auch immer meinen Stimmungen unterworfen. Je nach Tagesform ist es spannend, mitreißend, lustig aber auch manchmal traurig, nachdenklich oder dramatisch. Was nicht passt, wird passend gemacht. Aber ist Schreiben wirklich so einfach und dies der richtige Weg zum erfolgreichen Ende?

Opfer der Langeweile

Ich erinnere mich noch gut an eine Verfolgungsjagd, die mir zu langweilig war. Die beteiligten Personen schlichen aneinander vorbei, beobachteten sich abwechselnd, hielten Distanz. Ich wollte Blut sehen, also kam es zum Kampf. Schwerter prallten aufeinander. Es war ein herrliches Durcheinander. Die Kämpfenden schnauften, sie schwitzten, sie stöhnten unter der Anstrengung. Einer von ihnen bezahlte die Auseinandersetzung mit dem Leben.

Ich habe die Herausforderung genossen. Ein Kampf in Slow -Motion mit einem Vokabular, das ich mir erst einmal zusammensuchen musste. Ich beschrieb die Schwertführung, Schrittfolgen, Drehungen, den Überlebenskampf und schließlich Sieg und Niederlage. Ich war im Fieber und traurig, als es vorüber war. Blut breitete sich auf dem steinigen Untergrund aus, eine meiner fiktiven Personen starrte ein letzte Mal in den Himmel hinauf.

Wenn der Autor - und nicht der Gegner - den Kampf verliert

Ich hatte einen Krieger getötet. Ich hatte über das Böse gesiegt. Mein Held konnte weiterziehen, dieses Mal ohne Gefahr. Doch darin lag genau das Problem. Auf der Suche nach einem Höhepunkt, hatte ich die Spannung ermordet. Ich begann wild nach einer anderen Lösung zu suchen, strickte neue Personen, begriff aber schnell, dass sie es nicht mit diesem Einen aufnehmen konnten. Ich hatte mich als Autorin in eine Plot-Sackgasse begeben.

Der Getötete war kein vermeintlicher Nebendarsteller. Im Verlauf der Handlung hatte ich ihn, ohne es zu bemerken, zum Antagonisten befördert. Obwohl ich keinen Ersatz fand, schrieb ich weiter. Es war ein mühseliges und zähes Unterfangen. Gegen Ende der Geschichte gab ich meinen Widerstand auf, holte den Ermordeten aus der Versenkung, damit er das Finale nicht verpasste. Ende gut, alles gut?

Widerbelebung erfolglos

Leider war der getötete Antagonist nicht die einzige Schwachstelle. Ein logischer Plot musste her. Außerdem brauchte ich eine Ausarbeitung der Charaktere, eine Analyse ihrer Beziehungen zueinander. Die Spannungspunkte und Handlungsstränge mussten ebenfalls komplett überarbeitet werden. Über in Jahr arbeitete ich daran, schrieb nichts anderes, widmete mich voll und ganz dem Projekt Plotten.

Als der Plot ausgearbeitet war, klappte ich den Laptop auf, um loszulegen. Ich starrte auf den leeren Bildschirm. Der Cursor blinkte, forderte mich auf, die ersten Sätzen zu formulieren. Erst da wurde mir klar, dass ich mir das Wichtigste genommen hatte: die Vorfreude auf die Story. Warum sollte ich eine Geschichte verfassen, die ich bereits bis ins Detail kannte?

Die Story lag wie eine sezierte Leiche ohne jegliches Funkeln oder Faszination ausgebreitet vor mir. Ich quälte mich dann doch durch einige Szenen, aber es fühlte sich an, wie eine Serie, die man mal sehr geliebt und gern gesehen hat. Beim erneuten Anschauen Jahre später fällt einem auf, dass das Konzept alles andere als neu ist und andere es inzwischen action- und pointenreicher umgesetzt haben.

Spontan entschloss ich mich, 10 Jahre meiner Schreibgeschichte abzulegen. Einerseits fiel es schwer, die Geschichte zu beerdigen, andererseits war ich erleichtert. Ich hatte mich nur noch in dem Kosmos dieser einen Geschichte aufgehalten und wollte endlich zu neuen Ufern aufbrechen. Allerdings hatte ich das starke Band übersehen, das ein Autor mit seinem Manuskript verbindet.

Wenn Romanhelden zu Stalkern werden

Schreibprojekte sind mehr als nur Worte auf Papier. Sie sind Lebewesen. Sie haben ihren eigenen Willen und manchmal beschließen sie, länger zu leben, als es ihnen der Autor zugestehen möchte. Meines verfolgte mich. Es flüsterte mir weitere Details zu Charakteren und Orten ins Ohr oder tauchte unerwartet in Kurzgeschichten auf. Es schien mir zuzuflüstern: Schreib mich! Sieh nur, wie bunt du mich erschaffen hast! Ich bin jetzt ein Teil von dir!

Schließlich gab ich nach. Ich wollte es noch einmal zu versuchen, aber nicht mehr mit dem alten Plot. Eine neue Geschichte musste her! Wie sollte ich jetzt allerdings vorgehen, ohne die Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen? Wie konnte ich plotten, also meine Kreativität in ein vermeintliches Korsett zwängen und gleichzeitig frei schreiben?

Wie ein Schreibprojekt der Urwaldküche entwächst

Wenn Kinder in ihrer ersten Urwaldküche im Garten oder auf dem Spielplatz kochen, dann schmeißen sie alles in einen Topf: Steine, Nüsse, Gras, Matsch usw. Sie rühren es um, kochen es eine Weile und fertig ist das Gericht.

Nach diesem Verfahren ist mein erstes großes Schreibprojekt entstanden. Ich habe alles, was mir Spaß gemacht hat, wahllos zusammengerührt und das Ergebnis gekostet. Es war ein Albtraum für die Geschmacksknospen: feurig, fade, bitter, fruchtig, salzig, süß und rauchig.

Danach habe ich das Kochen strikt nach Rezept ausprobiert, mit dem Ergebnis, dass das Kochen langweilig war. Es war kein Erlebnis, sondern eine schlichte Abfolge vorgeschriebener Schritte.

Wie Schreiben auch ohne großartigen Plot-Plan gelingen kann

Sicherlich würde ich mir sehr viel Arbeit ersparen, wenn ich jede Story im Detail vorplanen würden, aber leider würde mir dabei der Spaß fehlen, meine Geschichte zu entdecken.

Es gibt jedoch einen Mittelweg für alle, die gerne darauf losschreiben und denen Karteikarten mit Szenen und festgelegten Charakteren ein Graus sind. Arbeitet die Kernbotschaft eurer Geschichte heraus. Worauf kommt es euch beim Erzählen der Geschichte an? Wo startet die Hauptfigur, was verändert oder prägt sie und was hat sie am Ende gelernt?

Wenn ihr euch ausgiebig mit den zwei bis drei Hauptfiguren eurer Handlung beschäftigt und ihren Weg zumindest in groben Schritten plant, dann könnt ihr euch auch den Luxus gönnen, zwischendurch ein paar schräge Vögel einfließen zu lassen oder das ein oder andere Gefecht.

Außerdem setzt euch nicht so unter Druck! Wenn ihr die Grundstruktur erarbeitet habt – schreibt! Ein Großteil der Story entsteht oder verändert sich sowieso bei der späteren Überarbeitung.

Würde ich den Bösewicht wieder töten?

Ich gebe zu, die Erfahrung war sehr lehrreich. Ich habe zugelassen, dass meine Story von Figuren und deren Schicksalen überflutet wurde. Kein Wunder also, dass ich den Überblick verloren habe. Ich wollte viel Handlung bzw. Abwechslung und habe dabei eine wichtigen Frage außer Acht gelassen: braucht die Geschichte diese Figur, um zu funktionieren oder nicht?

Daher lautet meine Antwort: Nein. Wenn der Bösewicht eine der Hauptfiguren ist und der Tod nicht wichtiger Teil der Handlung, dann müssten andere dran glauben, aber er würde überleben.

Letzte Überarbeitung dieses Beitrages: 01.03.2018

3 Kommentare zu „Der frühe Tod des Bösewichts“

  1. Da gabs die Freunde von Hermann Hesse: Hugo Ball und Emmy Hemmings und Emmy schrieb einmal an Hermann Hesse, dass Hugo seine Romane immer vor dem Schreiben total durchplane wie ein Architekt ein Bauwerk, sie hingegen setze sich hin und beginne zu schreiben. Ich find Emmys Variante besser, weil die besten Ideen – meiner Erfahrung nach – beim Schreiben entstehen. Aber wenn man sich in ein vorgefertigtes Korsett zwingt, dann entgeht einem dieses Abenteuer der spontanen Geistesblitze. Wenn ich kein Plan hab für ein Gedicht, fang ich manchmal einfach irgendwo an, öffne mein Unterbewusstsein und lass rausfließen, was oben schwimmt und da zieht dann eine Idee die andere nach sich. So sind manche meiner besten Texte entstanden. Lange Rede, kurzer Sinn: Du bist auf einem guten Weg. Weiter so! 🙂

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